”Was ist ein Name? Was uns Rose heißt, wie es auch hieße, würde lieblich duften”
Religiosität im gesellschaftlichen Kontext
Religiosität kann ohne den spezifischen gesellschaftlichen Kontext in welchem sie wirkt, nicht wissenschaftlich verstanden werden. Daher müssen wir zu allererst die Gesellschaft beschreiben, in der die Assyrer der heutigen Diaspora leben. Sie ist der Kontext, welcher auf Werte und Handeln der Assyrer einwirkt. In diesem Artikel beschränke Ich mich auf die schwedische Gesellschaft.
Statistische Daten der internationalen Studie World Values Survey haben widerholt aufgezeigt, dass sich die schwedische Kultur von jener vieler anderer Gesellschaften unterscheidet. Die schwedische Kultur erzielt hohe Werte bei den sogenannten emanzipativen Freiheitswerten. Die schwedische Kultur erzielt auch in einem anderen, dem „säkular-rationellen und nicht-religiösen” Index, signifikant hohe Werte. Letzterer Werteindex verdeutlicht eine geringe Akzeptanz von Werten mit Bezug auf „Gott”, „Familie” und „Nation”, was als allgemeines Resultat von Globalisierung und Postmoderne betrachtet werden kann (Pettersson & Esmer, 2007).
In meiner eigenen Dissertation (Cetrez, 2005) habe Ich aufgezeigt, dass das religiöse Engagement bei assyrischen Jugendlichen in Schweden sowohl im Verhältnis zu dem ihrer Eltern sowie zu dem assyrischer Jugendlicher in den USA (siehe Oshana, 2003) gering ist. Als Erklärung für das geringe Interesse an Kirchenbesuchen führten assyrisch-schwedische Jugendliche ein Vertrauensproblem gegenüber der Priesterschaft, ein begrenztes Gemeinschaftsgefühl innerhalb der Kirche sowie das politische Schisma innerhalb des eigenen Volkes an.
Das sinkende religiöse Engagement unter assyrischen Jugendlichen kann also teilweise mit Verweis die Struktur der schwedischen, einer sehr stark säkularisierten, Gesellschaft erklärt werden. Daher wollen wir diese Gesellschaft, ein Zuhause der assyrischen Diaspora, ein wenig näher betrachten.
Modernisierungsprozesse
Die westlichen Gesellschaften sind stark von der Moderne geprägt. Diese fußt ihrerseits auf einem Grundsatz der Aufklärung; nämlich der Auffassung vom Menschen als rationalem
Wesen mit Verantwortung für das eigene Handeln. Die Moderne ist von gesellschaftlichem Pluralismus, Individualismus, moralischem Relativismus sowie politischem Liberalismus geprägt (Herriot, 2007).
Der assyrische Soziologe Fuat Deniz (1999) erklärt in seiner Doktorarbeit, dass der Modernisierungsprozess bei den Assyrern noch vor der Emigration aus dem Nahen Osten begann, sich jedoch im Westen beschleunigte. Deniz betont, dass die assyrische Nationalideologie, sich auf die Aufklärung berufend, die Etablierung von Liberalismus sowie einer pluralistischen Gesellschaft zum Ziel hat. Innerhalb dieser Ideologie wird Religion als private, von politischen Fragen losgelöste, Angelegenheit definiert.
Ob Modernisierungsprozesse bei den Assyrern tatsächlich bereits weit vorangeschritten sind, muss sicherlich tiefergehend diskutiert werden. Ich bin der Ansicht, dass die Assyrer bedauerlicherweise noch immer stark dazu neigen, Religion über die säkulare assyrische Ideologie zu stellen. Statt der Nähe zu modernen Errungenschaften wie gesellschaftlichem Pluralismus, moralischem Relativismus oder politischem Liberalismus, ist eine deutliche Tendenz zu religiösem Konservatismus erkennbar.
Die Strategien des religiösen Konservatismus
Es stellt sich die Frage wie sich diese Tendenz zu religiösem Konservatismus innerhalb der assyrischen Gesellschaft ausdrückt? Um dies verstehen zu können müssen wir uns mit einem besonderen Begriff bekannt machen: dem Dualismus. Dieser zielt auf die wechselseitige Beziehung verschiedener Pole wie etwa heilig-profan, gläubig-ungläubig, wir-sie (die anderen) ab. Oder, um dies an einem für uns nahen Beispiel zu veranschaulichen: heidnisch-assyrische Rituale, Symbole und Namen im Gegensatz zu christlichen Ritualen, Symbolen und Namen. Oder aber auch unsere ethnische/religiöse Gruppe gegenüber anderen ethnischen/religiösen Gruppen. Ein solcher dualistischer Gegensatz wird verwendet, um eine konservative Sichtweise einer ”reinen” Identität zu schaffen. Demnach kann ”unsere” Kultur nur aus einer bestimmten Gruppe von Menschen sowie vorbestimmten Werten und Handlungen bestehen. Oder dass, um den Gegenstand anhand einer aktuellen Debatte zu veranschaulichen, nur christliche Namen für das Ritual der Taufe in Frage kommen. Mit solchem Gedankengut wird angedeutet, dass unsere Geschichte erst mit dem Christentum beginne und kulturelle Einflüsse aus vorchristlicher Zeit für unsere Identitätskonstruktion nicht in Frage kämen. Solches Denken fördert die Entwicklung einer statischen und konservativen assyrischen Kultur anstelle einer dynamischen und anpassungsfähigen. In diesem Dualismus nehmen Rituale eine zentrale Rolle ein, weswegen wir deren Funktionen nun ein wenig näher betrachten wollen.
Rituelle Handlungen stellen die stärkste Form der Ausübung von Machtkonstellationen dar, da sie sich in starkem Ausmaß dualistischer Gegensätze bedienen. Die Religion hat diese Macht der Rituale vor langer Zeit verstanden. Religiöse Rituale werden daher von einer bestimmten autoritären Gruppe ausgeübt, der Priesterschaft. Diese genießt innerhalb der Gemeinde eine besondere Stellung. Die Problematik liegt nicht in den religiösen Ritualen an sich, sondern darin, dass ihnen seitens der säkularen Welt eine große Legitimität zugestanden wird. Statt sich auf die eigentliche Funktion von Ritualen zu sehen (im Falle der Taufe der Eintritt einer Person in eine Gemeinschaft- unabhängig von ihrem Namen), wird ein solches Ritual als Mittel zur Ausübung von Kontrolle und zwecks Bewahrung konservativer Werte benutzt. Ein Ritual, welches also eine positive und stärkende Kraft haben könnte und sollte wird also zu etwas Negativem verwandelt, in dem man das schlechte Urteilsvermögen von
Eltern angeprangert und diese mit schlechtem Gewissen, Schuldgefühlen sowie Schuldzuweisungen (wenn man der Berichterstattung Glauben schenken darf) zurücklässt.
So lange religiöse Rituale in der religiösen Sphäre und säkulare Rituale in der säkularen Sphäre wirken, wird das kulturelle Gleichgewicht einer Gesellschaft aufrecht erhalten. Wenn jedoch religiöse Rituale ihren Anspruch auf Vorherrschaft in der weltlichen Sphäre ausweiten, werden Spuren von ungerechter Machtausübung erkennbar. In einer theokratischen, von Gottesdienern kontrollierten Welt, ist letztgenannter Zustand möglich. Nicht so in der säkularisierten modernen Gesellschaft.
Wieso aber kann ein einzelner assyrisch-historischer Name aus religiös-konservativer Perspektive als gefährlich empfunden werden? Die Antwort hierauf ist einfach: antike Rituale, Mythen und Symbole, inklusive antiker Namen, sprechen innere geistige und psychologische Bedürfnisse des Menschen an. Gleichzeitig sieht sich die Religion als Institution an, welche das Monopol darauf besitzt, jegliche Antworten für jene Fragen und Bedürfnisse zu besitzen. Daher stellt ein einzelner historischer assyrischer Name1, der an alternative Auffassungen der eigenen Identität erinnert, auch eine Gefahr für das konservative religiöse Weltbild dar. Es braucht im Grunde keinen Verweis auf die Tatsache, dass unsere eigene Geschichte voll von Beispielen ist, bei denen assyrische Namen zum Zweck der Assimilierung mit jenen der Mehrheitsgesellschaft ersetzt wurden.
Ich möchte auf die Gefahren hinweisen, welche der Pfad des hier beschriebenen religiösen Konservatismus mitführt. In der modernen und säkularen Gesellschaft in der wir leben, ist dieser kontraproduktiv. Paradoxerweise vollzieht sich die Verbreitung des religiösen Konservatismus2 zeitgleich mit der Abnahme von religiösen Praktiken unter assyrischen Jugendlichen in Schweden.
Dr. Önver Cetrez
Lektor der Religions- und Kulturpsychologie Universität Uppsala
1 Die Frage ”was ist [bedeutet nur] ein Name,” stellt Julia dem Romeo in einem von Shakespeares bekanntesten Stücken. Das verliebte Paar Romeo und Julia gehört den Familien Capulet und Montague an, welche sich in einer Fehde befinden. Julias rhetorische Frage an Romeo zielt auf die Tatsache ab, dass sie ihn unabhängig seines [Nach]Namens lieben würde- eine geeignete Metapher angesichts des existierenden Namenskonflikt innerhalb unseres Volkes. Dieser gleicht der Fehde der Familien Capulet und Montague, welche für alle Beteiligten auf tragische Weise endet.
2 Shakespeare wendet außerdem die Metapher ”smell” im Englischen an, welche an dieser Stelle besonders passend ist. Man nimmt an, dass Shakespeare mit ”by any other name would smell” das ”Rose Theatre”, den Rivalen seines eigenen ”Globe Theatre”, welches für seine schlechten sanitären Einrichtungen bekannt war, anspielt. In gleicher Weise ”stinkt” unsere aktuelle Taufaffäre. Dass einem Kind mit assyrischem Namen die Taufe im Hause Gottes mit Verweis auf heidnischen Bezug verweigert wird, widerspricht sowohl dem Kern als auch der Botschaft des Christentums, nämlich Nächsten- und Gottesliebe. Oder aber es handelt sich um einen einzelnen Priester, welcher eigentlich nicht in ”God’s Theatre” auftreten sollte.